Große Aufregung, aber sicher auch Stolz und Vorfreude begleiteten die gewählten Volksvertreter, die sich vor 30 Jahren, am Mittwoch, den 23. Mai 1990 um 8 Uhr morgens zur konstituierenden Sitzung der neuen Stadtverordneten im Gewandhaus trafen. Das Mandat dafür hatten sie bei der Kommunalwahl vom 6. Mai errungen. An diesem Tag bestand für die Bautzener Bürger nach vielen Jahrzehnten wieder die Möglichkeit, eine demokratische Volksvertretung zu wählen. Davon machten 24.029 Wahlberechtigte Gebrauch, was einer Wahlbeteiligung von gut 65% entsprach. Es traten 17 Parteien bzw. Vereinigungen und 3 Einzelbewerber zur Wahl an. Die meisten Stimmen entfielen auf die Liste der Kandidaten der CDU (28.871 Stimmen), gefolgt von der Partei des Demokratischen Sozialismus, PDS (11.789 Stimmen), dem Neuen Forum (7305 Stimmen), der SPD (6642 Stimmen) und der DSU (Deutsche Soziale Union). Weiter im Parlament vertreten waren Vertreter der Liberalen, der Demokratischen Bauernpartei, des Demokratischen Frauenbundes, der Domowina und der Volkssolidarität. Diese Wahlen waren ein zentraler Schritt zur Demokratisierung der Gesellschaft. Das brachte auch der von der Stadtverordnetenversammlung an diesem Tag beschlossene und danach veröffentlichte „Aufruf an die Landsleute in Ost und West“ deutlich zum Ausdruck.
Geprägt war die Sitzung von den Wahlhandlungen, die der Neuorganisation der Stadtverordnetenversammlung selbst, wie auch der Verwaltung dienten. Im ersten Tagungsordnungspunkt wurde das Präsidium der Stadtverordneten gewählt. Danach erfolgte auf Vorschlag der stärksten Fraktion CDU die Wahl ihres Abgeordneten, Christian Schramm, zum Bürgermeister. Er erhielt 49 von 60 möglichen Stimmen. Anschließend stimmten die Parlamentarier über die Struktur der Verwaltung mit fünf Dezernaten ab, wobei eines der Dezernate vom Bürgermeister selbst geleitet werden sollte. Als Leiter der vier anderen Dezernate wurden Rolf Scheibe, Edith von Wolffersdorff, Stefan Seidel und Josef Hoffmann bestimmt und diese Personen hauptamtlich berufen. Weiterhin wurde die Einrichtung von drei Pflichtausschüssen, dem Hauptausschuss, Finanzausschuss und Rechnungsprüfungsausschuss beschlossen. An die Wahlen schlossen sich erste wichtige sachliche Tagesordnungspunkte an, beispielsweise die geplante Umwandlung des VEB Gebäudewirtschaft in eine GmbH. Die Sitzung endete nach vier Stunden um 12.15 Uhr.
Das Protokoll zur Sitzung und der „Aufruf“ sind auf der Onlinepräsentation der Bestände des Stadtarchivs Bautzen unter https://www.archivverbund-bautzen.findbuch.net einsehbar (siehe unter Gruppe 20.04 Städtische Verwaltung ab 1990, 20.04.01 Gruppe Stadtverordnetenversammlung/Stadtrat, Bestand 64001).