Bestand 62100 Ratsprotokolle bis 1832

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Kennzeichen einer Stadt im Mittelalter waren Gebäude wie das Rathaus, die Befestigungsanlagen und vor allem auch die Rechte und Privilegien wie das Marktrecht oder das Recht der freien Ratswahl. Nach aktuellem Forschungsstand wird das Jahr 1213 als Entstehungsjahr für das Rathaus und die Einsetzung eines Rates durch den böhmischen König in Bautzen anerkannt. Der Rat versuchte zunehmend, Unabhängigkeit vom Landesherrn zu erlangen und erwirkte 1391 das Recht zur Durchführung der freien Ratswahl. Der Rat bestand fortan aus 13 Männern: sechs Bürgerliche, sechs Handwerker und ein  Bürgermeister, der jährlich wechselnd aus dem bürgerlichen Lager oder von den Handwerkern stammte. Um die Zusammensetzung des Rates gab es über viele Jahrhunderte hinweg immer wieder Auseinandersetzungen. Der regierende Bürgermeister, Consul genannt, hatte das Amt nur für ein Jahr inne und gab es dann an ein anderes Ratsmitglied weiter. Er selbst verblieb aber weiterhin im Gremium. Nur bei Tod oder Ausscheiden im Krankheitsfall konnten andere Personen aus der Bürgerschaft in den Rat nachrücken, die dann wiederum nur durch das Ratsgremium ausgewählt wurden.

Die Mitglieder des Rates trafen sich mehr oder weniger regelmäßig im Rathaus, um über die anstehenden Probleme und Aufgaben in der Stadt zu beraten. Die Ergebnisse wurden protokolliert; diese Protokollbände sind seit 1623 im Stadtarchiv vorhanden und nehmen als städtische Kernüberlieferung eine besondere Rolle im Gesamtbestand ein. Die Überlieferung reicht bis 1832. Mit dem Gesetz zur Einrichtung der allgemeinen Städteordnung wurde die Praxis der Ratswahl erneuert. Wurde das Ratskollegium bisher bei Tod oder Krankheit eines Mitglieds ausschließlich durch Berufung ergänzt, erfolgte ab 1832 eine Wahl in das Ratskollegium.

Für die Zeit zwischen 1623 und 1832 liegen 256 Protokollbände im Umfang von 50 bis 300 Blatt vor. In den Bänden schlägt sich auch das jährliche Procedere der Ratswahl nieder: Zu Beginn jeden Jahres fand die Ratskür, auch Ratswahl genannt, statt. Der alte Rat versammelte sich im Rathaus und der amtierende Bürgermeister blickte auf seine Regentschaft zurück. Danach wurde nach einem festen Ritual der alte Rat entbunden und in der Regel sogleich als neuer Rat wieder verpflichtet. Aus den Mitgliedern wurde der neue regierende Bürgermeister bestimmt, der dann den Amtseid zu leisten hatte. Diese Wahlhandlung kann in den einzelnen Bänden jeweils im Januar gut nachvollzogen werden. Im Text bzw. als Randeinträge werden auch die Namen und Funktionen der Mitglieder des Rates benannt.

Die eigentlichen Zusammenkünfte des Rates fanden normalerweise zweimal pro Woche statt, wenn mehr Gesprächsbedarf war aber auch deutlich öfter. Die Sitzungen sind in den Bänden chronologisch abgebildet. In der Regel werden am Anfang jeder Sitzung der Wochentag und das Sitzungsdatum genannt. Danach folgen die inhaltlich besprochenen Punkte. Gewöhnlich trägt ein Mitglied des Rates ein eigenes Anliegen oder ein Anliegen aus der Bürgerschaft vor. Sofern Anträge auf Erteilung des Bürgerrechts vorliegen, wurden diese am Ende der Sitzung behandelt. Im Protokoll sind diese Entscheidungen mit Angabe der betreffenden Person ebenfalls jeweils am Ende aufgeführt. Ergänzend finden sich auch Eintragungen über die namentliche Besetzung von anderen städtischen Ämtern oder Übersichten zu den Handwerkern.

Inhaltlich gesehen sind die Ratsprotokolle eine profunde Quelle, aus denen viele stadtgeschichtliche Informationen herauszulesen sind. Auf Grund ihrer protokollartigen Form sind sie allerdings teilweise nur sehr schwer lesbar, was ihre Benutzung aufwendig macht.

Die Bände waren durch biologische und mechanische Schäden wie Tintenfraß, Schimmel und Durchschüsse teilweise schwer geschädigt. Seit 1991 wurden und werden umfangreiche Mittel zur Restaurierung eingesetzt, um die Bände der Nachwelt zu erhalten und benutzbar zu machen. Ein Großteil der Bände wurde 2019 digitalisiert und ist jetzt über das Portal findbuch.net einsehbar:

https://www.archivverbund-bautzen.findbuch.net/php/main.php

Vorderansicht des Ratsprotokolls der Monate Januar 1720 bis Januar 1701 (Signatur 62100-101).
Erste Seite des Protokolls der Ratssitzung vom 1. Februar 1720 auf der Seite 5 aus dem Ratsprotokoll der Monate Januar 1720 bis Januar 1701 (Signatur 62100-101). Am Anfang des Protokolls wurden links neben dem amtierenden Bürgermeister stets die anwesenden Ratsherren aufgelistet.

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