Heimkehr eines verlorenen Schatzes - Bedeutende Chronik aus dem Stadtarchiv zurück im Bestand

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Das Stadtarchiv Bautzen verfügt über einen herausragenden Bestand an Urkunden, Amtsbüchern und Akten. Das ist umso erstaunlicher, da das Gedächtnis der Stadt über viele Jahrhunderte negativen Einflüssen durch Stadtbrände, Kriege, schlechte Lagerung, Umzüge oder Plünderung ausgesetzt war. Zu erkennen sind die dadurch entstandenen „Gedächtnislücken“ anhand alter Findbücher und -listen, in denen Archivalien verzeichnet sind, die heutzutage fehlen. Umso schöner, wenn sich eine solche schmerzliche Lücke wieder schließt, wie im vorliegenden Fall geschehen.

Kürzlich erreichte uns eine Chronik, die Aufzeichnungen zur Geschichte verschiedener Orte der Ober- und Niederlausitz, insbesondere zu den Sechsstädten Bautzen, Görlitz, Kamenz, Lauban, Löbau und Zittau, aber auch zu kleineren Orten wie beispielsweise Elstra, Ruhland oder dem Kloster St. Marienstern sowie zu Lübbenau, Forst, Cottbus und anderen Niederlausitzer Städten enthält. Auch einige Urkundenabschriften und Statuten einzelner Städte finden sich im Konvolut eingebunden. Eine Besonderheit dieser Chronik stellt ihre Herkunft und Datierung dar. Ein in dem Band eingebundenes Schreiben nennt als Adressaten den bedeutenden Mediziner und Botaniker Johannes Franke, was darauf schließen lässt, dass er derjenige war, der die Chronik zusammengestellt hat.

Franke wurde 1540 in Hildesheim geboren, kam mit zwölf Jahren nach Schlesien und studierte in Frankfurt/Oder, Wittenberg, Straßburg, Basel und Paris Medizin. Nach Abschluss seines Studiums war er als Leibarzt an einem fürstlichen Hof tätig, 1581 siedelte er nach Kamenz über und übernahm die Stelle des Stadtarztes. Nach einem Zerwürfnis mit dem dortigen Rat kam er 1600 nach Bautzen, wo er in gleicher Position tätig war. Neben seiner praktischen Tätigkeit bezog er Stellung zu medizinischen Fragen und war auch literarisch aktiv. Sein Hauptwerk „Hortus Lusatiae“ gilt als eines der frühesten botanischen Werke Mitteleuropas. Darin verzeichnete er alle ihm bekannten Wild- und Gartenpflanzen sowie Kulturgewächse der Lausitz, wobei er die Namen nicht nur in lateinischer, sondern teilweise auch in sorbischer Sprache angab. Franke starb 1617 in Bautzen und wurde auf dem Taucherfriedhof als überregional bekannter Arzt, Botaniker, Historiker und Humanist bestattet. Es ist anzunehmen, dass die Chronik zu seinen Lebzeiten um 1600 entstand und später noch ergänzt wurde.

Damit ist sie eine der ältesten Chroniken im Stadtarchiv Bautzen. In den alten Verzeichnissen der sogenannten „Handschriftensammlung U III“ war sie als „U III Nr. 206“ verzeichnet, jedoch mit dem Vermerk „Kriegsverlust“. Wie und wann die Chronik genau aus dem Bestand des Stadtarchivs entfernt wurde, ist nicht mehr nachzuvollziehen, ein der anonymen Übergabe beiliegendes Schreiben weist jedoch auf eine Entwendung während der letzten Kriegstage 1945 hin. Die Umstände des Verlustes sind heute nicht mehr aufklärbar, viel wichtiger ist vielmehr, dass die Chronik mit der innen aufgebrachten Signatur „U III 206“ den Weg zurück in unser Haus gefunden hat und nun, nach einer notwendigen restauratorischen Behandlung, vielen weiteren Generationen für eine Einsichtnahme zur Verfügung steht. Vielleicht finden sich ja auf dem ein oder anderen Bautzener Dachboden weitere Stücke, die ursprünglich aus dem Stadtarchiv Bautzen stammen. Für die Erforschung der Geschichte unserer Stadt wäre es ein Glücksfall, wenn weitere Fehlstellen im Bestand geschlossen werden könnten. 

Außenansicht der Chronik, der Pergamenteinband besteht aus einem Fragment einer mittelalterlichen Handschrift für den Chorgesang (Archivverbund Bautzen, Nr. 68002-206)
Innenansicht der Chronik, die Chronik enthält 328 per Hand beschriebene Blatt, darin befinden sich außerdem drei kleine Druckschriften aus der Zeit um 1600 (Archivverbund Bautzen, Nr. 68002-206)

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