Zwei Flüsse - Zwei Pläne - Eine Vision

  KategorienArchiv Bautzen

Schon Mitte des 19. Jahrhunderts war der Bau eines Mittellandkanals in Planung, jener Wasserstraße, die Rhein, Weser, Elbe und Havel miteinander verbinden sollte. In der Umsetzung dieses Projektes sah man in Schlesien jedoch einen landwirtschaftlichen und industriellen Nachteil. Darum wollte die Breslauer Handelskammer mit einer Denkschrift die Erbauung eines Elbe-Oder-Kanals zwischen Torgau an der Elbe und Maltsch an der Oder anregen. Im Berliner Abgeordnetenhaus wurde das Projekt jedoch aus politischen Gründen abgelehnt. Anfang des 20. Jahrhunderts griff die Handelskammer in Görlitz dieses Projekt wieder auf. Sie fand mit den Kammern in Dresden, Chemnitz und Cottbus sowie mit anderen Städten Partner und gewann damit politischen Rückhalt. Obwohl zwischenzeitlich der Erste Weltkrieg wütete, führte dies keineswegs zur Unterbrechung in der Planung. 1918 wurde der Regierungsbaumeister Schulz aus Berlin von der Görlitzer Handelskammer beauftragt, eine umfassende Denkschrift über das Vorhaben anzufertigen. Bis 1924 versuchte man sich damit bei der Reichsregierung Gehör zu verschaffen. Diese Bemühungen blieben vorerst erfolglos.

1924 stellte Landesbaurat Freystedt aus Liegnitz in einer eigenen Denkschrift neue Projektansätze vor. Die Handelskammer von Görlitz bestand jedoch auf eine einheitliche Planung, die in Berlin durch alle teilnehmenden Körperschaften vertreten werden sollte, um so die Chancen auf Unterstützung der Regierung zu erhöhen und die wirtschaftliche Machbarkeit zu gewährleisten.

Um die Ansätze beider, Freystedt und Schulz, in eine gemeinsame Planung einfließen zu lassen, wurde am 11. Mai 1925 der Elbe-Oder-Kanal-Verein in Görlitz gegründet. Da der Verein keinen festen Sitz hatte, übernahm die Stadt Görlitz als Gründungsmitglied den sämtlichen Schriftverkehr. Zu den späteren Mitgliedern des Vereins zählten mehr als hundert Städte, Kommunalverbände, Kammern, Firmen und Gewerkschaftsverbände. Bei der ersten offiziellen Mitgliederversammlung am 17. Juni 1925, die in Görlitz stattfand, wurden der Vorstand, der Beirat und weitere Mitglieder gewählt. Den Vereinsvorsitz bildeten die Oberbürgermeister von Görlitz und Liegnitz zusammen. Für die Erstellung einer eigenen Satzung orientierte sich der Verein an Entwürfen und Ausfertigungen bereits bestehender Kanal- und Schifffahrtsvereine im deutschsprachigen Raum.

Um das Großprojekt zu finanzieren, stand der Verein im engen Kontakt mit dem Reichsverkehrsministerium, welches sich dafür beim Reichstag einsetzte. Dort wurde erklärt, dass die beteiligte Interessengemeinschaft drei Fünftel der Mittel für die Vorarbeiten selbst und der Staat nur zwei Fünftel davon zu tragen hätten. Von der großen Bedeutung des neuen Verkehrsweges für Schlesien überzeugt, erklärten sich die Mitglieder bereit, diese Summe aufzubringen. Um das Eigenkapital und die Fördermittel innerhalb der am Kanal anliegenden Kommunen effektiv verteilen zu können, wurde ein Punktesystem erdacht, welches aus dem voraussichtlichen Warenverkehr des Kanals für die einzelnen Gemeinden berechnet wurde.

1927 war die Einrichtung eines Kanalbauamtes durch den Verkehrsminister in Senftenberg geplant, um eine Studie zur Machbarkeit für einen Kanal zur Verbindung der Elbe und der Niederlausitzer Braunkohlegebiete zu entwickeln. Auch die Oderstrombauverwaltung Breslau sollte entsprechende Vorarbeiten leisten. Bis 1930 erfolgten vom Verein und den Behörden umfangreiche Planungen. Dazu wurde unter anderem vom 15. bis zum 20. Oktober 1928 das Kanalgebiet bereist.

Die geplante Umsetzung des Elbe-Oder-Kanals war mit hohen Kosten verbunden, doch der Verein konnte von seiner großen wirtschaftlichen Bedeutung überzeugen. Damit standen die Chancen für eine erfolgreiche Verwirklichung gut.

Leider markierten politische Umweltzungen und der zweite Weltkrieg 1945 das Ende des Vereins.

Auch, wenn dieses Vorhaben seitdem nicht mehr aufgegriffen wurde: Die Vision blieb.

Im Staatsfilialarchiv Bautzen ist Archivgut zu diesem interessanten Projekt überliefert. Wie es in das Archiv gelangte, kann heute nicht mehr gesagt werden. Nach Angaben der Zentralen Bestandsnachweiskarte wurde das Archivgut 1945 ins damalige Landesarchiv Bautzen übernommen. Von 1945 bis 1992 lagerte der Bestand im Archivstandort Ortenburg in Bautzen. 1992 erfolgte die Umlagerung in das Archivdepot „Offizierskasino“ in der Löhrstraße in Bautzen. Mit den anderen dort lagernden Beständen wurde er 1996 in das Magazin des Staatsarchivs Leipzig gebracht. Die Rückkehr nach Bautzen erfolgte im September 2001. Hier war inzwischen ein Magazinneubau für das Staatsfilialarchiv errichtet worden, welcher sehr gute Lagerungsbedingung für das Archivgut bietet.

Der Bestand Elbe-Oder-Kanal-Verein besteht aus 17 Akteneinheiten und ist im Bautzener Staatsfilialarchiv unter der Signatur 50087 zu finden.

Im August 2021 begann die Bestandsbearbeitung mit der technischen Bearbeitung. Julian Globisch, Auszubildender zum Fachangestellten für Medien- und Informationsdienste/Fachrichtung Archiv im 3. Ausbildungsjahr, beendete die Erschließungsarbeiten nun im Rahmen seines Archivpraktikums. Er verzeichnete die einzelnen Archivalien mit Hilfe der Archivsoftware. Abschließend wurde ein Findbuch hergestellt. Damit ist der Bestand nun für die Benutzung freigegeben.

Grund für die Erschließung des Bestands war auch seine Relevanz für die Erforschung der Wirtschafts- und Verkehrsgeschichte Ostdeutschlands. Außerdem besitzt der Bestand eine nicht zu unterschätzende heimatgeschichtliche Bedeutung.

Bei der Beschäftigung mit der Bestandsgeschichte fand er heraus, dass im Ratsarchiv der Stadt Görlitz viele weitere Unterlagen zur Geschichte des Elbe-Oder-Kanal-Vereins aufbewahrt werden.

Karte des Kanalgebiets (Druck, farbig). Archivverbund Bautzen, Staatsfilialarchiv, 50087-14

Zurück